Im folgenden Bericht beschreibt eine Mutter ihre erste Geburt, die sie als Alleingeburt plante. Ihr Baby kam als Sternengucker und trotzdem flott zur Welt.
Mein Partner Michael und ich wohnen auf La Palma, einer der kanarischen Inseln, die zu Spanien gehören. Zu Beginn unserer Schwangerschaft dachten wir noch kaum über die Geburt nach, allerdings stand für uns von Anfang an fest: Wir wollen nur im Notfall ins Krankenhaus.Ich hatte einige Jahre zuvor in einer anderen Partnerschaft eine Fehlgeburt in der 14. Woche gehabt. Diese kurze Schwangerschaft hatte ich in „guter deutscher medizinischer Betreuung“ verbracht, inklusive Fehlgeburt im Krankenhaus. Danach kämpfte ich lange mit diesem Verlust und der traumatischen Erfahrung im Krankenhaus (u.a. aufgrund einer ungewollten Ausschabung, die ein Körpertrauma hervorgerufen hatte). Ich wollte kein zweites Mal solch ein Erlebnis haben. Auch Michael stand dem Gesundheitssystem – insbesondere seit der Corona-Zeit – kritisch gegenüber, und so wurde es für uns beide einfach nie Thema, irgendwelchen Vorsorgeuntersuchungen nachzukommen. Uns verband der Glaube daran, dass eine Seele, die hier sein möchte, hier sein wird, während eine Seele, die gehen möchte, sich durch keine medizinische Intervention der Welt aufhalten lassen wird. Ich muss dazu sagen, dass wir zu diesem Zeitpunkt am Aufbau unseres Projektes hier arbeiteten und nicht durch Angestelltenverhältnisse dazu gezwungen waren, Elternzeiten zu beantragen etc. Noch dazu erleichterte uns die Entfernung von Verwandtschaft und Freundeskreisen in Deutschland, eine entspannte Schwangerschaft zu erleben und uns auf eine Alleingeburt ohne medizinische Betreuung vorzubereiten.
Seit ich von der Schwangerschaft wusste, absolvierte ich morgens konsequent ein kleines Yoga-Programm – lieber weniger, dafür aber täglich. Ich ging auch mehrmals täglich in die Hocke und gegen Ende half mir ein gestützter Schulterstand („Indische Brücke“ mit erhöhtem Becken und Beinen auf einem Stuhl), wenn das Baby querlag oder sich unwohl zu fühlen schien. Wir gingen, vor allem im zweiten Schwangerschaftsdrittel, oft im Meer baden. Auf einer inneren Ebene ging ich weniger in Meditation, als ich mir zu Anfang vorgenommen hatte. Jedoch versuchte ich, achtsam und sensibel gegenüber den Signalen meines Körpers zu sein und ihnen nachzukommen. In meinen Ernährungsvorlieben und meinem Schlafbedürfnis fiel mir das leicht, im Umgang mit Bekannten hingegen musste ich erst lernen, mich gegenüber Rauchern oder schweren Themen (wie z.B. Krieg) abzugrenzen. Ich suchte bald nur noch die Kontakte, die mir ausschließlich guttaten und mied Situationen, die uns auf unserem Weg stressten („Wie – ihr habt noch keinen Ultraschall?!“).Als die ersten Monate der Schwangerschaft gut verlaufen waren, begannen wir langsam, über die Geburt nachzudenken. Ich wünschte mir zunächst, das Baby in unserer Jurte zu bekommen, und Michael wünschte sich eine Frau, die sich auskennt. Wir fanden auch schnell eine Hebamme, die hier auf der Insel bereits viele Geburten begleitet hatte, mit der ich mich sehr wohlfühlte. Allerdings sagte sie uns zwei Monate vor dem Geburtstermin aus persönlichen Gründen wieder ab. Diese Zeit war für mich die aufregendste in der Schwangerschaft. Nun merkte ich, wie sehr ich mich innerlich bereits auf diese Hebamme verlassen hatte. Ich erkannte, dass ich mich auf keinen Fall nochmal von jemand abhängig machen durfte, sondern dass ich genug Halt in mir selbst finden musste. Wir haben eine Freundin, die eines ihrer beiden Kinder in Alleingeburt bekommen hat (https://www.geburt-in-eigenregie.de/2018/03/17/alleingeburt-im-bungalow/ ), und sie bot uns ihre Unterstützung bei der Geburt an. Mit ihrer Hilfe kamen wir mehr und mehr mit dem Thema Alleingeburt in Kontakt, lasen das Buch von Sarah Schmid und sprachen mit zwei weiteren alleingeburtserfahrenen Müttern aus unserem Bekanntenkreis. Ich bekam zunehmend das Gefühl, dass auch ich mir eine Alleingeburt zutraute. Mit Anne vereinbarten wir, ihr bei den ersten Geburtsanzeichen Bescheid zu geben, falls wir sie, sollte es uns spontan geboten erscheinen, dazuholen wollten. Im letzten Schwangerschaftsdrittel begann ich, großteils aus praktischen Erwägungen, eine Geburt in unserem Haus statt in der Jurte zu bevorzugen. Hier sind ein wärmender Holzofen und Heißwasser vorhanden. So begann ich, mir allmählich eine „Geburtshöhle“ unter unserem Hochbett einzurichten, die ich auch vorab schon oft für meine Siesta nutzte. Gegen Ende der 37. Woche hatte ich eine leichte Schmierblutung mit Bestandteilen des, wie ich annahm, Schleimpfropfes. Daraufhin begann das Baby, das seit mehreren Wochen in derselben Position mit Kopf nach unten gelegen hatte, die Positionen mehrfach zu wechseln. Es lag sogar nochmal einen Tag lang quer, was recht unangenehm war.Ich konsultierte Anne, obwohl ich der Ansicht war, dass es noch nichts zu bedeuten habe. Die letzten Tage vor der Geburt verbrachte ich damit, aufzuräumen und Angefangenes abzuschließen. Ich wollte unbedingt fertig werden – im Nachhinein wohl ein Anzeichen für die nahende Geburt. Am letzten Abend vor der Geburt sagte ich noch, dass es gut sei, dass das alte Jahr in zwei Tagen vorbei sei. Nun sei es so gut wie sicher, dass das Baby im neuen Jahr käme. In Spanien werden Kinder nämlich nach Jahrgängen zusammengefasst eingeschult, und ich hatte gehofft, es würde eines der ältesten Kinder in seiner Klasse sein und nicht eines der jüngsten. Doch in dieser Nacht – es war der 30.12. – wachte ich gegen 01:45 Uhr auf, um auf Toilette zu gehen. (Es war der Beginn der 38. Schwangerschaftswoche, und die Schmierblutung lag drei Tage zurück.) Als ich mich im Bett aufrichtete, lief Fruchtwasser aus. Ich sagte Michael Bescheid und ging mit einer Decke zwischen den Beinen zur Toilette, um zu prüfen, ob alles in Ordnung sei. Das war es – kein Blut, nur Fruchtwasser. Nachdem ich über der Toilette und in der Dusche einiges hatte ablaufen lassen, setzten die ersten Wehen ein. Mir war kalt geworden, wodurch sie sehr schmerzhaft waren. Michael und ich kuschelten uns daraufhin in unser vorbereitetes Geburts- und Wochenbett –eine große Matratze auf Lattenrost unter unserem Hochbett. Michael heizte den Holzofen, der unser kleines Häuschen schnell aufwärmte, machte mir eine Wärmflasche und wärmte mich mit seinem Körper. Ich freute mich, viele Kissen bezogen zu haben, denn ich brauchte überall welche. Zwischen den Beinen, zum Festklammern und zum Auspolstern. Wir hatten saugfähige Unterlagen im Bett ausgebreitet und ich hatte ein Handtuch zwischen den Beinen, weil weiterhin Fruchtwasser auslief. Die Wehen kamen ca. alle 2-3 Minuten. Ich hatte mich dank Erfahrungsberichten anderer Frauen und meiner Fehlgeburt bereits auf die Heftigkeit der Schmerzen einstellen können. Dies empfand ich als große Hilfe, weil ich mich nicht so überrascht und hilflos ausgeliefert fühlte wie bei meiner Fehlgeburt. Sondern ich hatte, so unaushaltbar mir die Schmerzen auch erschienen, das Gefühl, dass trotzdem alles normal verlief. Ich stöhnte und tönte laut mit, was mir ein bisschen Linderung verschaffte. In dieser ersten Phase hatte ich zweimal Durchfall und erbrach zweimal. Ich war in dem Glauben, sicherlich eine Geburt von 12 bis 24 Stunden vor mir zu haben, da es sich ja um meine erste „große“ Geburt handelte. Im Nachhinein weiß ich, dass ich die Eröffnungsphase „übersprungen“ haben muss, weil ich gleich mit Wehen im Abstand weniger Minuten startete. Michael (der immer mal wieder auf die Uhr sah) wies mich darauf hin, dass ich mich wahrscheinlich schon in der Übergangsphase befände. Doch ich wollte mir keine falschen Hoffnungen machen, und meine größte Sorge in dieser Nacht war, dass ich in diesem kräftezehrenden Tempo noch einen Tag lang durchhalten müsse. Daher hielt ich solange wie möglich auf der Seite liegend im Bett aus, weil ich hoffte, dass eine Entspannungsphase käme, in der ich schlafen könne – ich war doch einfach nur so unendlich müde! Es half, wenn Michael mir den unteren Rücken massierte, und auch eine Wärmflasche tat mir gut. Als die Schmerzen im Liegen unerträglich wurden, legten wir auch Unterlagen auf eine Yogamatte, und ich probierte in der Mitte unseres Häuschens mehrere Stellungen aus. Schließlich kniete ich auf einem Knie, während das andere Bein wie in der Hocke aufgestellt war. Den Oberkörper hatte ich über die Armlehne eines Sessels gelegt. Ein Kissen auf der Sitzfläche bot meinem Kopf in den kurzen Pausen Entspannung. Michael legte mir eine Decke über, weil mir trotz Ofen immer noch schnell kalt wurde. Moses, einer unserer Kater, legte sich zu mir auf die Yogamatte. Rasch gingen die Wehen in Presswehen über. Es fühlte sich ein bisschen an wie sehr starke Verstopfung. Entgegen meinem Vorhaben, die Presswehen möglichst sanft zu gestalten, wurde ich regelrecht von den Wehen mitgerissen. Ich hatte alle Wehen zuvor schon stark gestöhnt, aber bei den Presswehen half ich mit aller Kraft schreiend mit, sodass ich bald heiser war. Moses legte sich einen Meter weiter weg, als es ihm zu laut wurde, blieb aber die ganze Zeit dabei. Michael wärmte die Wärmflasche nochmal auf (nicht zu heiß, damit ich sie direkt auf den unteren Rücken legen konnte) und legte mir immer wieder die Decke über, wenn sie abrutschte. Und er sang mit Harmoniumbegleitung ein Mantra. Das tat mir sehr gut und schien die Wehen ein bisschen „in Klang einzuhüllen“. Bald spürte ich, wie sich etwas in den Geburtskanal zu schieben begann. Wiederum etliche Presswehen später konnte ich beim Nachtasten das Köpfchen fühlen. Es schob sich mit jeder Wehe etwas weiter vorwärts, doch dieser Vorgang zog sich für mich gefühlt unerträglich in die Länge. Zwischen den einzelnen Wehen döste ich immer wieder erschöpft über dem Sessel liegend ein. Dann ging es aber plötzlich doch schnell. Michael setzte sich vor mich auf die Matte und fühlte ebenfalls nach dem Köpfchen. Und plötzlich flutschte das ganze Baby zwischen uns auf die Matte. Mit dem Gesicht nach oben, also musste es zuletzt in der sog. Sternengucker-Position gelegen haben. Das Baby war sehr rot und fing sofort an, röchelnd Geräusche von sich zu geben, während wir es noch völlig perplex anstarrten. Dann begrüßten wir es und Michael schaute kurz auf die Uhr – 06:10 Uhr. Das Ganze hatte also nur viereinhalb Stunden gedauert! Wir wickelten das Baby in unser schönstes Handtuch (mit einem aufgestickten Mantra) und ich legte mich mit ihm ins Wochenbett auf frische Unterlagen. Michael räumte noch schnell rudimentär auf, warf die blutigen Unterlagen in den Müll und wischte ein paar Flecken weg. Dann schliefen wir drei Stunden. Unserer Freundin Anne schickte Michael gleich nach dem Aufwachen eine Nachricht mit der Kunde der erfolgreichen Geburt. Alles war genau so richtig, wie es war, denn wir hatten zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, eine weitere Person zu brauchen. Später bemerkte ich, dass ich am Damm ein wenig eingerissen war. Ich ließ es so verheilen, wie es war. Die Plazenta ließ sieben Stunden auf sich warten. Nach einigen Stunden wurde ich etwas unruhig, vor allem, als ich las, dass es nach einer Ausschabung Probleme damit geben könnte. Doch dann fiel mir ein, dass ich mich die ganze Schwangerschaft über bewusst von angstmachenden Informationen ferngehalten hatte, und so ging ich auch nun wieder gezielt ins Vertrauen. Ich sprach in Gedanken mit Gebärmutter und Plazenta, bedankte mich für ihre wertvolle Arbeit und bat sie, sich nun leicht voneinander zu lösen. Michael spielte ein Mantra, und ich musste ein bisschen weinen. Es tat mir gut, mich bewusst und auf positive Weise von der Schwangerschaftszeit zu lösen. Bald darauf kam die Plazenta ohne Pressen, als ich über einer großen Schüssel in die Hocke ging. Wir schnitten die Nabelschnur nahe der Plazenta durch. Einige Tage später setzte Michael neben der Jurte einen Neem-Baum auf der Plazenta in die Erde. Die Geburt war ein sehr schönes Erlebnis für uns als Paar und erfüllt uns mit viel Zuversicht, die Hürden der Elternschaft ebenfalls aus eigener Kraft meistern zu können. Ich bin sehr dankbar, dass Michael so aktiv und im tiefen Vertrauen dabei war. Es gab keine Sekunde, in der ich lieber alleine gewesen wäre. Aufgrund dieser kraftvollen Erfahrung überlegen wir, ob wir unsere Jurte für Paare zur Verfügung stellen können, die ebenfalls eine Alleingeburt auf der Vulkaninsel La Palma erleben möchten.